Anmerkungen zum Abschnitt ‚Schulische Bildung‘ im Koalitionsvertrag
Vieles von dem, was in den Nachrichten über den Bildungsaspekt in den Koalitionsverhandlungen zu hören war, klang ausgesprochen positiv: mehr Ganztag, Aufweichung des Kooperationsverbots, mehr Geld für Bildung … Fast hätte man denken können, dass die deutsche Politik doch noch begriffen hat, dass, so ein altes GEW-Motto, „alles mit guter Bildung beginnt“.
Nachdem nun aber der fertige Koalitionsvertrag vorliegt, ist es doch wieder wie bei den Gewinnspielen, die einem täglich ins Haus flattern: Man muss das Kleingedruckte lesen. Nachdem ich das getan habe (vgl. Koalitionsvertrag, S. 28 f.), fällt mein Urteil folgendermaßen aus:
Zwar ist deren Förderung bei den geplanten „Investitionen in Bildungsinfrastruktur“ explizit erwähnt. Einen „Rechtsanspruch“ soll es jedoch ausdrücklich nur für „Ganztagsbetreuung“ geben, und auch das nur für Kinder „im Grundschulalter“. Damit geht es hier nicht um Konzepte wie den rhythmisierten Unterricht oder um kompensatorische Angebote für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche durch qualifizierte Lehrkräfte. Im Vordergrund steht vielmehr die bloße Aufbewahrung der SchülerInnen an den Nachmittagen. Angesichts des chronischen Lehrkräftemangels ist nicht davon auszugehen, dass dafür ausgebildetes Personal eingestellt wird.
Zwar wird dem Bund in Zukunft ein stärkeres finanzielles Engagement im Bereich der schulischen Bildung zugestanden. Dabei soll es jedoch nur um die „Bildungsinfrastruktur“ gehen. Um Missverständnissen vorzubeugen, wird ausdrücklich betont: „Die Kultushoheit bleibt Kompetenz der Länder.“ Damit bleibt der skandalöse Zustand bestehen, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland bei ihren Bildungschancen davon abhängen, ob in ihrem Bundesland eine Partei mit progressiven Bildungsideen regiert oder ob Letztere von einer Partei mit Häschenschulidealen und einem elitären Bildungskonzept wieder kassiert werden.
Eine Verbesserung dieser Situation könnte theoretisch durch den „Nationalen Bildungsrat“ bewirkt werden, dessen Einrichtung der Koalitionsvertrag in Aussicht stellt. Allerdings wird schon im Vorhinein festgelegt, dass das neue Gremium seine Vorschläge „auf Grundlage der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung“ zu erarbeiten habe. Damit ist zu befürchten, dass hierdurch nur die allgegenwärtige Testeritis gefördert werden soll. Das Ziel wäre damit auch hier mehr Standardisierung und nicht das verstärkte Eingehen auf die individuellen Bildungsbedürfnisse und -voraussetzungen des Kindes. Schließlich stellt sich auch die Frage, wer dem neuen „Nationalen Bildungsrat“ angehören soll. Werden Gewerkschaften, Lehrer- und Elternverbände sowie Schülervertretungen darin angemessen vertreten sein? Oder wird er ähnlich elitelastig sein wie der Wissenschaftsrat, nach dessen „Vorbild“ er eingerihtet werden soll?
Obwohl Inklusion nach wie vor eine zentrale Herausforderung für die Schulen darstellt, wird sie im Abschnitt „Allgemeine Bildung und Schulen“ nur an einer einzigen Stelle erwähnt: Durch die „Investitionsoffensive Schule“ und den „Digitalpakt Schule“ werde, so wird keck behauptet, auch „zur inklusiven Bildung“ beigetragen. Nun ist es zwar richtig, dass die angestrebte spezielle Unterstützung von „Schulen in benachteiligten sozialen Lagen“ auch der Inklusion zugute kommen könnte. Allerdings ist die Inklusion ein gesamtgesellschaftliches Projekt, das sich nicht nur auf einzelne Schwerpunktschulen beschränken darf. Eben dies suggeriert der Koalitionsvertrag jedoch, indem dort von den an dem Programm „teilnehmenden Schulen“ die Rede ist. Offenbar sollen hier also wieder einmal Schwerpunktschulen geschaffen werden, an denen die „schwierigen“ Schüler zusammengefasst werden. Damit stünde das Programm letztlich im Dienst der „Intitiative zur Förderung leistungsstarker und leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler“, sprich: der Eliteförderung, an der ausdrücklich festgehalten werden soll.
Die Vorbereitung der „Schülerinnen und Schüler auf das Leben und Arbeiten in der digitalen Welt“ steht im Mittelpunkt der „Offensive für Bildung, Forschung und Digitalisierung“ – so das Motto, das dem Bildungskapitel im Koalitionsvertrag vorangestellt ist. Hierfür wird nicht nur das meiste Geld zur Verfügung gestellt – 5 Milliarden Euro, gegenüber 2 Milliarden für den Ausbau der Ganztagsbetreuung und einer bezeichnenderweise nicht genannten Summe für die Unterstützung von „Schulen in benachteiligten sozialen Lagen“. Auch die gewählten Formulierungen vermitteln den Eindruck, dass eine Verbesserung des Bildungsangebots nicht in erster Linie durch eine bessere materielle und personelle Ausstattung der Schulen und innovative Unterrichtskonzepte, sondern durch die Digitalisierung des Unterrichts erreicht werden kann. Dementsprechend bleiben auch die damit verbundenen Probleme unerwähnt. Die „gemeinsame Cloud-Lösung“ für Schulen“ etwa soll schlicht „geschaffen“ werden – notfalls auch von Google, um den Preis einer Schaffung des gläsernen Schülers?
Ökonomisierung. So bleibt der Eindruck, dass die Pläne der möglichen neuen Bundesregierung im Bereich Bildung vor allem auf die Förderung von Nachwuchskräften für die Wirtschaft abzielen. Hierzu passt, dass die einzigen Bemerkungen, die sich auf Unterrichtsinhalte beziehen, auf „die MINT-Bildung“ beschränkt sind, wo verschiedene Unterstützungsmaßnahmen vorgesehen sind. An der Förderung des kritischen Denkens, die gerade in Zeiten von Fake-News, faschistoiden Politikentwürfen und propagandistischer Beschönigung von Regierungsbeschlüssen dringend erforderlich wäre, ist den Koalitionären in spe offenbar herzlich wenig gelegen.
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