Aufsatz erschienen in: Jungkamp, B.; John-Ohnesorg, M. (Hrsg.): Soziale Herkunft und Bildungserfolg. Friedrich-Ebert-Stiftung. 2016
FES: Soziale Herkunft und Bildungserfolg
Bild: Dominik Woźniak * 1983: Junge
Aufsatz erschienen in: Jungkamp, B.; John-Ohnesorg, M. (Hrsg.): Soziale Herkunft und Bildungserfolg. Friedrich-Ebert-Stiftung. 2016
FES: Soziale Herkunft und Bildungserfolg
Fachtagung der SPD über „Begabung“ in Mainz. Ich muss an Florian denken, den kleinen Käferspezialisten, den ich einmal an einer Grundschule unterrichtet habe. Käfer waren Florians ganze Leidenschaft. Wann immer seine Eltern ihm etwas Gutes tun wollten, zerrte er sie in eine Buchhandlung und suchte sich dort ein Buch über Käfer aus.
In der Schule bekamen die Käferbücher die Funktion einer Belohnung: Wenn Florian mit seinen Aufgaben fertig war, durfte er sich aus dem Wandregal, das wir eigens für ihn angebracht hatten, eines seiner Bücher nehmen und darin lesen. Da Florian sehr umgänglich und deshalb bei seinen Mitschülern recht beliebt war, begannen sich bald auch die anderen für sein Hobby zu interessieren. Die Folge war nicht nur, dass die Klasse wahrscheinlich einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde für die größte Ansammlung junger Käferexperten hätte beantragen können. Vielmehr forderten auch die anderen nach und nach das Recht auf „Belohnungslesen“ ein So wurde aus dem Wandregal eine Leseecke und aus der Leseecke schließlich ein Freiarbeitsbereich, in dem jeder seinen eigenen Interessen nachgehen konnte.
Damit hatte Florian den anderen durch seine geistige Leidenschaft Freiräume geschaffen, von denen am Ende alle profitierten. Hätte man ihm den Stempel „hochbegabt“ verpasst und ihn in ein spezielles Förderprogramm gesteckt, wäre der Klasse dieser geistige Motor abhandengekommen. Angesichts des mit solchen Programmen verbundenen Erwartungsdrucks hätte Florian, den ich als sehr sensiblen Jungen in Erinnerung habe, dann wahrscheinlich sogar selbst keine Freude mehr an seiner Wissbegierde gehabt.
Das Denken in Begabungskategorien ist, so scheint mir, ein Resultat des gleichschrittigen Unterrichts. Wenn alle Lernenden in einer bestimmten Zeit dieselben Lernziele erreichen sollen, werden Abweichungen nach unten als Beleg für „Minderbegabung“ und Abweichungen nach oben als Beleg für „Hochbegabung“ herangezogen. In einem offenen Unterricht, in dem die Lernenden ihr Lerntempo selbst wählen und auch bei den Lerninhalten individuelle Schwerpunkte setzen können, gibt es dagegen keine „Begabung“.
Das Phänomen der „Begabung“ ist damit so etwas wie das Ungeheuer von Loch Ness der Pädagogik: Niemand hat es je gesehen, aber jeder behauptet, es zu kennen, weil alle so darüber reden, als würde es existieren.
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