Grams / Hoffmann: „Sich vor niemandem bücken, außer um ihm aufzuhelfen“- Zum Gedenken an Wolfgang Jantzen

Im November 2020 starb Wolfgang Jantzen. Gemeinsam mit Florian Grams habe ich einen Gedenkband herausgegeben.

Wolfgang Jantzen hat mit seinen theoretischen und praktischen Überlegungen zu Inklusion und Exklusion Generationen von Pädagog*innen geprägt. Ansetzend an den Positionen der kulturhistorischen Schule der sowjetischen Psychologen Vygotskij und Leontjew hat er gemeinsam mit Georg Feuser eine „materialistische Behindertenpädagogik“ entwickelt, die sich absetzt von einer paternalistischen Fürsorgepädagogik, in der „Behinderung“ als Persönlichkeitsmerkmal festgeschrieben wird. „Behinderung“ sah Jantzen als ein Bündel, die Entwicklung des Einzelnen behindernder Lebensumstände, als Ausdruck gesellschaftlicher Isolation und Einschränkung. Das Ziel jeder Pädagogik muss es demnach sein, diese Umstände zu analysieren, die behindernden Faktoren aufzudecken und neue Möglichkeitsräume für den einzelnen Menschen zu eröffnen.
Im vorliegenden Band finden sich nun unterschiedliche Beiträge von Menschen, die mit Wolfgang Jantzen zusammengearbeitet haben, deren Denken und Arbeiten er beeinflusst hat. Kaleidoskopartig werden so seine Persönlichkeit und seine Arbeit beleuchtet.
Mit diesem Band verknüpft sich die Hoffnung, dass die von Wolfgang Jantzen angestoßenen Diskurse weiterleben, dass sie zu einer wirklich inklusiven Pädagogik und engagiertem gesellschaftlichen Handeln ermuntern.

Neue Veröffentlichung: Die Schule in der Demokratie als Schule der Demokratie

Bildungsreformen als Fundament eines demokratischen Way of Life

Fast die Hälfte der Wahlberechtigten in NRW ging nicht zur Wahl. Die Gesellschaft ist gespalten wie nie. 20% glauben an Verschwörungstheorien… Viele fühlen sich nicht mit gemeint, selbst wenn es nun nicht mehr „Bürgerinnen und Bürger“ sondern Bürger*innen mit Päuschen heißt. Unsere Demokratie ist in Gefahr. Dies nun mit ein paar Stunden Politikunterricht in der Schule richten zu wollen, ist wohl eher die naive Vorstellung von BildungsbürgerInnen. Toleranz, Zusammenhalt, Gestaltungskraft und Verantwortung entstehen nicht durch die richtigen Fächer, Lerninhalte, Sprachverordnungen oder Besuchen von Gedenkstätten, sondern durch das lebendige Miteinander der Verschiedenen, durch Forschen, Mitbestimmen und Ausprobieren. Schule muss neu gedacht werden!!! – Demokratie ist mehr als eine Formalität. Wie Dewey sagt: Es ist ein „Way of Life“.

Der Inhalt des Buches: Die Lebendigkeit einer Demokratie hängt nicht in erster Linie von der Funktionsfähigkeit ihrer formalen Mechanismen ab. Wichtig ist dafür vor allem ein von Solidarität und Empathie, Eigenverantwortung und Diskursbereitschaft getragener Alltag. Dieser muss folglich auch das Leben und Lernen in der Schule bestimmen. Was muss sich dafür ändern?

eBook:

7,49 €

Kindle

ePub

Buch

17, 80 €

mit farbigen Abbildungen

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Inhaltsverzeichnis und Einführung als PDF

Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit

Gewerkschaftliche Gedanken zum Thema Klimaziele und Nachhaltigkeit

Gewerkschaftsarbeit ist mehr als bloße Interessenvertretung. Schon immer haben Gewerkschaften auch für gesellschaftliche Veränderungen gekämpft und sich dem Frieden und der gesellschaftlichen Solidarität verpflichtet gefühlt. Nachhaltigkeit und Bildung für Nachhaltige Entwicklung waren deshalb für mich ein großes Thema und vor allem auch ein soziales und gesellschaftspolitisches Thema. Mit Ansgar Klinger (GEW) und KollegInnen – vor allem auch Antje Utecht (IG Metall) – aus dem DGB haben wir in die gewerkschaftlichen Zugänge in die Bundesdebatte zu BNE aktiv eingebracht.

Unsere Gedanken dazu haben wir in einem Artikel der Zeitschrift „Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis“ dargelegt. Wenn man sich die „Klimadebatten“ auf der politischen Bühne anschaut, dann ist die Verknüpfung von ökologischen und sozialen Zielen DAS Zukunftsthema. Es reicht nicht, wenn sich die GEW an die Klimabewegungen dranhängt. Gewerkschaftliche Aspekte und das Thema gesellschaftliche Inklusion müssen mit Leidenschaft, Kompetenz und Überzeugung weiterhin in die BNE-Debatte eingebracht werden.

Unser Artikel:

Ansgar Klinger, Ilka Hoffmann, Antje Utecht: Gute Bildung für alle und faire Arbeitsbedingungen als gewerkschaftliche Nachhaltigkeitsziele

Fortbildung für Lehrer*innen? – Ja, aber welche?

Veröffentlichung der Friedrich-Ebert Stifung

„Die pandemiebedingten Schulschließungen haben viele Baustellen des deutschen Bildungssystems offenbart. Eine besonders wichtige ist die der Fortbildung von Lehrkräften. Viel zu lange und ungerechtfertigt spielte dieses Thema in der Öffentlichkeit eine Nebenrolle. Dass das Lernen auch für Lehrkräfte nicht mit der Einstellung in den Schuldienst endet, machen die sich rasch wandelnden gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen deutlich.
Nur ein Beispiel ist die Qualifizierung von Lehrkräften für einen pädagogisch reflektierten Umgang mit digitalen Technologien. Andere Stichworte sind Umgang mit Heterogenität, Inklusion, Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler, eine erfolgreiche Schulentwicklung, Demokratieerziehung oder ökologische Bildung.

Die große Bedeutung des Themas war Anlass für eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 22. und 23. September 2020. Die Beiträge der Referent_innen finden sich im vorliegenden Band.“

Netzwerk Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2021

Ich durfte an dieser spannenden Tagung teilnehmen und habe mich auch an dem Tagungsband beteiligt.

Hier der Tagungsband zum Download:

http://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/18117.pdf

Bilder: Pixabay

Die Coronakrise als Vergrößerungsglas

Die Coronakrise hat überdeutlich gemacht, dass man eben nicht alle Kinder und Jugendlichen über einen Kamm scheren kann, dass Bulimie-Lernen nichts bringt und es Wichtigeres gibt als zentrale Prüfungen und abfragbares Wissen. Ich höffe wir lernen daraus, dass das Gesamtsystem gerechter werden muss und Sozial- und Bildungspolitik ineinandergreifen. Inklusion ist kein Randthema, sondern das Topthema für die Zukunft!

Hier mein Artikel in der GEW-Zeitung dazu:

Schulische Abseitsfalle

Auch hier spielte das Thema eine Rolle.

ZDF-Zoom: Schulen im Corona-Stress

 

 

 

 

Annegret Kramp-Karrenbauer und „die armen Kinder“

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Annegret Kramp-Karrenbauer hat die benachteiligten Kinder entdeckt.  In einer aktuellen Rede sagte sie: „Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass Kinder bei uns ausgegrenzt werden“.

Das klingt seltsam aus dem Mund einer Politikerin, die im Saarland seit Jahren die inklusive Bildung ausbremst und die Förderschule Lernen bis in alle Ewigkeit erhalten will.  Dass gerade die Förderschule Lernen im Wesentlichen von Kindern aus benachteiligten Familien besucht wird und als gesellschaftliches Abseits fungiert, ist „AKK“ entgangen. Ihr 2014 in der ZEIT erschienener Artikel macht deutlich wofür sie steht: Inklusion, ja, aber bitte nur bis zu einem gewissen Grad. Der Artikel strotzt vor Klischees und Gemeinplätzen. Internationale Studien und die Forschung hierzulande sind an AKK spurlos vorbeigegangen.

Auf Annegret Kramp-Karrenbauers Artikel habe ich seinerzeit geantwortet. Diese Einschätzung trifft immer noch zu:

Inklusion braucht einen Systemwechsel

 

Valentin Aichele (Deutsches Institut für Menschenrechte) zu Kramp-Karrenbauer

 

 

Foto: Cole Stivers: Girl (pixabay)

 

 

 

 

Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit im Arbeitsfeld Schule

Die Maikundgebungen 2018 standen unter dem Motto Solidarität – Vielfalt – Gerechtigkeit. Dieser Dreiklang fasst die Zielsetzung einer inklusiven Entwicklung der Gesellschaft schlagwortartig zusammen. Wir Gewerkschafter*innen würden keinen dieser starken und auch emotional bedeutsamen Begriffe in Frage stellen. Auf der abstrakten und programmatischen Ebene sind sie unumstritten. Schwieriger wird es, wenn wir diese Begriffe auf die konkrete „Arbeitsebene“ herunterbrechen und sie in spezifischen Bereichen zur Grundlage der gewerkschaftlichen und praktischen Arbeit machen wollen.  Ich habe in der gewerkschaftlichen Online-Zeitschrift Denk doch mal versucht, diese Begriffe auf das Arbeitsfeld Schule zu beziehen – unter der Perspektive der gewerkschaftlichen Interessenvertretung:

Artikel

Berufsethos der Bildungsinternationale (BI)

Wozu brauchen Lehrkräfte ein Berufsethos?

The next educational success

Das 2004 von der Bildungsinternationalen verabschiedete Berufsethos muss auch Leitlinie gewerkschaftlicher Arbeit sein. Dazu müssen Fortbildungsmodule entwickelt werden, die beitragen, das Berufsethos in den Bildungseinrichtungen zu verankern.

Beschäftigte in pädagogischen Arbeitsfeldern sind täglich mit vielen Anforderungen, emotional herausfordernden Situationen und einem großen Handlungsdruck konfrontiert. Die Ansprüche, die Politik und Gesellschaft an Lehrkräfte stellen, sind dazu noch sehr widersprüchlich: Sie sollen in einem hochselektiven, an getrennten Bildungsgängen ausgerichteten System alle Lernenden individuell fördern. Wie soll das gelingen? Vor allem erfahren viele Kolleginnen und Kollegen: Schulrechtliche Vorgaben sind oftmals mit den pädagogischen Grundüberzeugungen und Werten der GEW nicht zu vereinbaren.

Widersprüchliche Erwartungen können belastend sein. Lehrkräfte übernehmen deshalb häufig mehr oder weniger unhinterfragt Haltungen, die die selektive Struktur unseres Schulsystems vorgibt – und die sie selbst in ihrer Schulzeit kennengelernt haben. Das einzelne Kind, seine Bildungsbiografie, seine Stärken und Wünsche rücken dabei in den Hintergrund. Es geht in erster Linie um die „objektive“ Leistungsbewertung und die „richtige“ Platzierung im hierarchischen Schulsystem.

Die GEW stellt indes seit vielen Jahren das gegliederte Schulsystem infrage. Die Bildungsgewerkschaft steht für Inklusion und Teilhabe – und so auch für andere Wertorientierungen. Das Problem: In der Praxis erschweren oft mangelhafte personelle und materielle Rahmenbedingungen deren Umsetzung. Außerdem widerspricht der Inklusionsgedanke tradierten Ansichten und Routinen in unseren Schulen – und in unseren Köpfen. Damit Lehrkräfte den von Konkurrenz und Selektion geprägten Schulstrukturen wirksam entgegentreten können, bedarf es besonderer Anstrengungen. Der bekannte Inklusionspädagoge Reimer Kornmann beschreibt das als „innere Widerständigkeit“, die es zu entwickeln gilt. Reinhard Stähling, Schulleiter der inklusiven Grundschule Berg Fidel, spricht gar von „Ungehorsam im Schuldienst“.

Ethische Grundlage

Um Stärke zu zeigen, und im Interesse der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen – gegen die Logik des Selektionssystems – handeln zu können, braucht unsere Profession eine ethische Grundlage. Am 2004 von der Bildungsinternationalen (BI), der weltweiten Dachorganisation der Bildungsgewerkschaften und Lehrerverbände, verabschiedeten Berufsethos kann sie sich orientieren. Es vereint drei Perspektiven:

  1. das Menschenrecht auf Bildung als Grundlage professionellen Handelns;
  2. die arbeitsrechtliche Perspektive, die auf angemessene Rahmenbedingungen achtet;
  3. die Professionsentwicklung, um die Qualität im Bildungsbereich zu gewährleisten.

Das BI-Manifest verbindet demnach individuelle, kollektive und gewerkschaftliche Selbstverpflichtungen. Denn es reicht nicht, wenn einzelne Lehrkräfte ihre Tätigkeit nach ethischen Grundsätzen ausrichten. Diese können nur dann in einer Einrichtung wirksam und tragfähig sein, wenn sie vom gesamten Kollegium geteilt und gelebt werden. Zu einem verbindlichen Berufsethos gehören also auch kollegiales Miteinander und professionelle Teamarbeit.

Kein Luxus

Was folgt daraus? Das Berufsethos muss auch Leitlinie gewerkschaftlicher Arbeit sein. Im GEW-Kontext meint dies: Das uneingeschränkte Bekenntnis zu den allgemeinen Menschen- und Kinderrechten sowie zu den UN-Antidiskriminierungskonventionen sollte die Grundlage unseres professionellen Handelns sein. Nach diesem Wertekanon beurteilen wir Schulgesetze, organisatorische Regelungen, Strukturen und Rahmenbedingungen (Personalschlüssel, Unterrichtsverpflichtung, materielle Bedingungen …). Auf diese Weise helfen wir als Gewerkschaft mit, die Profession weiterzuentwickeln.

Pädagogische und gewerkschaftliche Arbeit ethisch zu verorten, ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, denn:

  • Wir dürfen es nicht der Politik überlassen zu definieren, was als gute Bildung für alle gilt. Wir müssen unsere eigene Sicht, unsere eigenen Visionen entwerfen und politisch einbringen.
  • Gemeinsame Werte, gegenseitige Achtung und Kooperation verbessern nicht nur die pädagogische Qualität einer Schule, sondern tragen wesentlich zur Berufszufriedenheit bei.
  • Die eigene Tätigkeit ethisch zu begründen, hilft in Konflikt- und Entscheidungssituationen.
  • Nicht zuletzt: Ethische Maximen sind als professionelle Richtschnur eine Kraftquelle im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen – und machen ihn glaubwürdiger.

Auftrag einlösen

In diesem Sinn ist auch der Beschluss des Gewerkschaftstages 2013 als Auftrag an die Mitglieder zu verstehen: „Die GEW koordiniert einen Diskussionsprozess zur Vertiefung und Weiterentwicklung des professionellen Selbstverständnisses der Lehrerinnen und Lehrer, der Pädagoginnen und Pädagogen und anderer im Bildungsbereich Beschäftigter. Ziel ist, ein gemeinsames Verständnis für die Rechte und Pflichten, Aufgaben, Einstellungen und Haltungen in einem inklusiven diskriminierungsfreien Bildungssystem zu erarbeiten.“

Dieser Auftrag ist noch einzulösen. Er ist Ansporn, mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam Fortbildungsmodule zu entwickeln, die dazu beitragen, das Berufsethos der BI in den Bildungseinrichtungen zu verankern und sowohl Lehrkräfte in ihrer Profession als auch Schulentwicklungen zu unterstützen. Was wir brauchen, ist eine lebendige Diskussion über die ethischen Grundsätze sowohl pädagogischer als auch gewerkschaftlicher Arbeit.

Schule und Gesellschaft lassen sich nur mit mutigen Lehrkräften verändern, die wissen, wofür sie stehen. Sie sollten nicht nützliche „Rädchen im Getriebe“ sein, sondern mündige und kritische Bürgerinnen und Bürger heranbilden: Menschen, die in der Lage sind, Verantwortung für eine friedensfähige, demokratische und nachhaltige Gesellschaft zu übernehmen.

 

erschienen in:  Erziehung und Wissenschaft 7/8 2016 Artikel auf gew.de

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: Tarifpolitik, Bildungspolitik …

Was ist eine Bildungsgewerkschaft? – Warum ist sie mehr als eine Standesorganisation? und: Warum brauchen wir ein Berufsethos? Diesen Fragen bin ich in einem Artikel im Journal für LehrerInnenbildung nachgegangen:

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Deutschland: Tarifpolitik, Bildungspolitik, Lehrerpolitik