Eine für alle – Die inklusive Schule für die Demokratie

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Vor ein paar Tagen ist unser lange angekündigter Kongress „Eine für alle- Die inklusive Schule für die Demokratie“ zu Ende gegangen. Es war ein spannender, lebhafter Kongress mit intensiven, zum Teil auch kontroversen Diskussionen. Es war ein Kongress der Begegnung zwischen Berufs- und Interessengruppen und KollegInnen aus den Schulen, aus der LehrerInnenbildung und den Verwaltungen.

Der Kongress war zugleich der Höhepunkt einer fast zweijährigen intensiven Zusammenarbeit mit der GGG, dem GSV, der Aktion Humane Schule, dem Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität, dem Verein Politik gegen Aussonderung, dem NRW-Bündnis Eine Schule für alle, der Montag-Stiftung Jugend und Gesellschaft sowie weiteren UnterstützerInnen. Diese Zusammenarbeit wird weitergehen.

eva-giovanniniEine zentrale Botschaft hat Vernor Munoz zum Kongressauftakt formuliert. Inklusive Bildung als Menschenrechtsmodell sei keine bloße Organisationsform, die man dem bestehenden System einfach hinzufüge. Sie könne nicht in einem selektiven System erfüllt werden und erfordere Paradigmenwechsel in der Bildungstheorie, der Bildungspolitik und der Bildungspraxis. Dies sei die politisch einzufordernde Staatenverpflichtung.

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Eine weitere zentrale Botschaft des Kongresses war, dass die Grundlage und derKompass der bildungspolitischen Weiterentwicklung die Menschen- und Kinderrechte sein müssen. Besonders Reinald Eichholz hat in seinem Abschlussplädoyer betont, dass dieser breite Ansatz nicht verloren gehen dürfe. Sonst werde Inklusion zu einem technokratischen Additiv zu den bestehenden Verhältnissen und politisch wie pädagogisch bleibe alles beim Alten. Das Bekenntnis zum uneingeschränkten Recht auf Bildung für jeden Menschen verleiht dem Kampf für bessere Rahmenbedingungen (die auch Thema der

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verschiedenen Podien und Foren waren) Glaubwürdigkeit und Kraft. Haldis Holst hat aus Sicht der norwegischen Lehrergewerkschaft sehr anschaulich gemacht, wie eine Gewerkschaft ihre Werte und ethischen Prinzipien gleichsam zum „politischen Mandat“ und zur „Waffe“ im Kampf um gute Bedingungen machen kann.

Der Kongress war vom Bekenntnis zu einer „inklusiven Schule für die Demokratie“ getragen, wenn auch über die Wege dorthin – wie das Abschlusspodium zeigte – gestritten werden kann und muss. Dennoch wurde klar: es geht weiterhin „um das große Rad“, also nicht nur um Maßnahmen, sondern um eine Transformation. Dies hat nicht zuletzt – neben Munoz und Holst – der dritte Blick über den Tellerrand  gezeigt: Ewald Feyerer konnte aufzeigen, dass das zweigliedrige österreichische System zwar die Segregation etwas abmildern, nicht aber die Inklusion umsetzen konnte.

 

Hier Informationen und ein paar Impressionen vom Kongress:

https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/inklusions-kongress-soziale-spaltung-ueberwinden/

https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/inklusion-statt-selektion/

Zur Pressemeldung der veranstaltenden Verbände und zum Hintergrundmaterial „Zahlen – Daten – Fakten“ geht’s hier:  Daten und Fakten

Bilder: Copyright: Eva Giovannini, Christoph Boeckheler

 

Menschenrechte versus Humankapital – Zur Bildungspolitik der OECD

Entrance_to_the_OECD_Conference_Centre_April_2014Überlegungen anlässlich der Sitzung des Trade Union Advisory Commitees der OECD in Paris am 3. und 4. Mai 2016

Was ist das Ziel von Bildung? – Bei dieser Frage kommen viele Menschen ins Grübeln. Die Antworten derer, denen sofort etwas dazu einfällt, gehen indes oftmals auseinander.

Ein ganz großer Player in Bildungsfragen – zumindest unter den reicheren Industrieländern – ist die OECD.  Die OECD definiert Bildungsziele, gibt Hinweise, verfasst umfangreiche Studien. Ihrer Bildungsabteilung, in der mehr als 100 WissenschaftlerInnen beschäftigt sind, haben wir durchaus positive Impulse zu verdanken. So wurde der Glaube an die Sinnhaftigkeit des gegliederten Schulsystems in Deutschland von den diversen Studien der OECD immer wieder erschüttert. Auch die TALIS-Studie, die sich mit den Einschätzungen der Lehrkräfte beschäftigt, liefert wichtige Erkenntnisse zur Arbeitszufriedenheit.

Dennoch beschleicht mich immer wieder Unbehagen, wenn ich den ReferentInnen der OECD zuhöre. Auch wenn sie IMG_0020vermeintlich das Gleiche sagen, meinen sie doch etwas anderes: So wird in einer neuen Studie mit dem Titel „Social emotional Skills“ die Bedeutung sozialen Lernens betont. Während Gewerkschaften und ReformpädagogInnen die Bedeutung sozialen Lernens mit dem Lernen von Toleranz, Demokratie und Frieden begründen, besteht die Bedeutung für die OECD darin, dass das Vorhandensein sozialer Kompetenzen die Produktivität der ArbeitnehmerInnen und damit den Profit steigert. Dementsprechend unterscheiden sich auch die empfohlenen Maßnahmen, um die Sozialkompetenz zu steigern: Während engagierte Lehrkräfte eine entsprechende Schulkultur, Klassenräte und Streitschlichter sowie einen wertschätzenden und respektvollen Umgang  miteinander für maßgeblich halten, setzt die OECD auf Tests und Sozialtraining für diejenigen, die im Test versagt haben.

Ähnlich verhält es sich, wenn von Chancengerechtigkeit die Rede ist. Für engagierte Lehrkräfte und Gewerkschaften geht es hierbei  um das umfassende Menschenrecht auf Bildung und den Abbau von sozialen Spaltungen. Für die OECD geht es um das Ausschöpfen des Humankapitals. Wenn die Humankapitalhypothese bei der Herstellung von Bildungsgerechtigkeit im Mittelpunkt steht, was ist dann mit dem Bildungsrecht all derjenigen, die aufgrund schwerster Beeinträchtigungen keinen „Mehrwert“ erzielen können? Bedeutet dies nicht in letzter Konsequenz, dass ihnen das Recht auf Bildung abgesprochen wird?

Ist das Ziel von Bildung nicht umfassende gesellschaftliche Teilhabe,  Persönlichkeitsentwicklung und Demokratie? – Das mögen politisch aufgeklärte Menschen so  sehen. In einem neueren Papier der OECD wird die Schaffung von „well functioning adults“ al2977788,templateId=scaled,property=imageData,height=287,scale=proportional,v=1,width=640,CmPart=com.arte-tv.wwws Bildungsziel genannt – gut funktionierende Rädchen im Wirtschaftsgetriebe, die nicht unnötig herumgrübeln und flexibel einsetzbar sind. Aber sollten engagierte Lehrerinnen und Lehrer angesichts der verheerenden ökologischen und sozialen Folgen eines reibungslos funktionierenden Kapitalismus nicht eher Sand in das kapitalistische Getriebe streuen?