Schule und Bildung sind beliebte Themen in den Medien und in der Politik Alle wissen, was besser oder anders werden muss. Die Erwartungen an die Lehrer*innen sind groß: Sie sollen Probleme wie soziale Benachteiligung, mangelnde Integration, den Erwerb von Zukunftskompetenzen lösen. Und dies alles in einem europaweit unterfinanzierten Bildungssystem und ohne Rückenwind der Politik und der Öffentlichkeit. Was ein guter Lehrer/eine gute Lehrerin ist, definieren nicht die Expert*innen für das Schulwesen – die Lehrer*innen oder ihre Gewerkschaften und Organisationen – , sondern Politiker*innen, Medien und last but not least die Wirtschaft. Die Lehrkräfte werden als Produzenten des geeigneten „Humankapitals“ gesehen, Bildung wird in erster Linie unter Verwertungsgesichtspunkten betrachtet. Hinzu kommt: Bildung soll nicht allzu viel kosten und wird regelmäßig überprüft. Ist der Output an Humankapital nicht zufriedenstellend, sind die Lehrer*innen schuld: Sie sind schlecht ausgebildet, zu wenig fortgebildet und nicht engagiert genug.
Es ist also an der Zeit, dass die Bildungsgewerkschaften das Heft in die Hand nehmen und mit ihren Mitgliedern definieren, was Lehrer*innen brauchen, um ihre Profession zu stärken, was gute Bildung ist und welche Unterstützung dazu von den Regierungen zu leisten ist. „Professional Needs“ sind ein Thema für den sozialen Dialog zwischen Bildungsgewerkschaften und Regierungen. Wie können Gewerkschaften dazu befähigt werden, die professionelle Entwicklung und Stärkung der Kolleg*innen einzufordern und mitzugestalten?- Was können die europäischen Bildungsgewerkschaften voneinander in diesem Feld lernen?
Das sind die Themen eines EU-Projektes der Dachorganisation der europäischen Bildungsgewerkschaften ETUCE. An dem Projekt nehmen Gewerkschaften aus ganz Europa teil. Es zeigt sich: Bildungsgewerkschaften, die die Stärkung der Profession und die professionelle Entwicklung in den Fokus nehmen, sind politisch wirksamer.
Der Workshop des Projektes in Rom diente dazu, hierzu Leitlinien zu entwickeln, die den Bildungsgewerkschaften helfen, die professionelle Entwicklung und ihre Förderung (professional needs) wirksam in den sozialen Dialog einzubringen. Die Erfahrungen, Möglichkeiten und Strukturen der Bildungsgewerkschaften in Europa sind höchst unterschiedlich: Es gibt Bildungsgewerkschaften ,z.B. in Schottland, die sehr erfolgreich Einfluss auf die Professionalisierung nehmen, aber auch Gewerkschaften, die nicht gehört werden (Türkei, Polen). Wenn Lehrer*innenbildung auf ideologischer Grundlage top down bestimmt wird, dann ist das schlecht für alle. Denn eines ist allen klar: Lernen ist ein sozialer Prozess, der in einer „lernenden“ Gemeinschaft aus Schüler*inne, Lehrer*innen, Eltern und allen, die zur Schulgemeinschaft gehören, stattfindet. Es gibt keine Trennung zwischen der professionellen Stärkung der Lehrkräfte und dem erfolgreichen Lernen der Kinder und Jugendlichen. Es gibt keine gute Bildung, ohne dass die Bedürfnisse aller in der Lerngemeinschaft beachtet werden. In einer guten Schule ist das Lernen keine Einbahnstraße von den Lehrenden zu den Lernenden, sondern alle lernen voneinander.
Deshalb sind die Bildungsgewerkschaften aufgerufen, die Profession der Lehrkräfte in diesem Sinne zu stärken und den Pädagog*innen zu helfen, ein starkes Berufsethos zu entwickeln, das den Kampf für bessere Lern- und Arbeitsbedingungen einschließt.