Berufsethos der Bildungsinternationale (BI)

Wozu brauchen Lehrkräfte ein Berufsethos?

The next educational success

Das 2004 von der Bildungsinternationalen verabschiedete Berufsethos muss auch Leitlinie gewerkschaftlicher Arbeit sein. Dazu müssen Fortbildungsmodule entwickelt werden, die beitragen, das Berufsethos in den Bildungseinrichtungen zu verankern.

Beschäftigte in pädagogischen Arbeitsfeldern sind täglich mit vielen Anforderungen, emotional herausfordernden Situationen und einem großen Handlungsdruck konfrontiert. Die Ansprüche, die Politik und Gesellschaft an Lehrkräfte stellen, sind dazu noch sehr widersprüchlich: Sie sollen in einem hochselektiven, an getrennten Bildungsgängen ausgerichteten System alle Lernenden individuell fördern. Wie soll das gelingen? Vor allem erfahren viele Kolleginnen und Kollegen: Schulrechtliche Vorgaben sind oftmals mit den pädagogischen Grundüberzeugungen und Werten der GEW nicht zu vereinbaren.

Widersprüchliche Erwartungen können belastend sein. Lehrkräfte übernehmen deshalb häufig mehr oder weniger unhinterfragt Haltungen, die die selektive Struktur unseres Schulsystems vorgibt – und die sie selbst in ihrer Schulzeit kennengelernt haben. Das einzelne Kind, seine Bildungsbiografie, seine Stärken und Wünsche rücken dabei in den Hintergrund. Es geht in erster Linie um die „objektive“ Leistungsbewertung und die „richtige“ Platzierung im hierarchischen Schulsystem.

Die GEW stellt indes seit vielen Jahren das gegliederte Schulsystem infrage. Die Bildungsgewerkschaft steht für Inklusion und Teilhabe – und so auch für andere Wertorientierungen. Das Problem: In der Praxis erschweren oft mangelhafte personelle und materielle Rahmenbedingungen deren Umsetzung. Außerdem widerspricht der Inklusionsgedanke tradierten Ansichten und Routinen in unseren Schulen – und in unseren Köpfen. Damit Lehrkräfte den von Konkurrenz und Selektion geprägten Schulstrukturen wirksam entgegentreten können, bedarf es besonderer Anstrengungen. Der bekannte Inklusionspädagoge Reimer Kornmann beschreibt das als „innere Widerständigkeit“, die es zu entwickeln gilt. Reinhard Stähling, Schulleiter der inklusiven Grundschule Berg Fidel, spricht gar von „Ungehorsam im Schuldienst“.

Ethische Grundlage

Um Stärke zu zeigen, und im Interesse der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen – gegen die Logik des Selektionssystems – handeln zu können, braucht unsere Profession eine ethische Grundlage. Am 2004 von der Bildungsinternationalen (BI), der weltweiten Dachorganisation der Bildungsgewerkschaften und Lehrerverbände, verabschiedeten Berufsethos kann sie sich orientieren. Es vereint drei Perspektiven:

  1. das Menschenrecht auf Bildung als Grundlage professionellen Handelns;
  2. die arbeitsrechtliche Perspektive, die auf angemessene Rahmenbedingungen achtet;
  3. die Professionsentwicklung, um die Qualität im Bildungsbereich zu gewährleisten.

Das BI-Manifest verbindet demnach individuelle, kollektive und gewerkschaftliche Selbstverpflichtungen. Denn es reicht nicht, wenn einzelne Lehrkräfte ihre Tätigkeit nach ethischen Grundsätzen ausrichten. Diese können nur dann in einer Einrichtung wirksam und tragfähig sein, wenn sie vom gesamten Kollegium geteilt und gelebt werden. Zu einem verbindlichen Berufsethos gehören also auch kollegiales Miteinander und professionelle Teamarbeit.

Kein Luxus

Was folgt daraus? Das Berufsethos muss auch Leitlinie gewerkschaftlicher Arbeit sein. Im GEW-Kontext meint dies: Das uneingeschränkte Bekenntnis zu den allgemeinen Menschen- und Kinderrechten sowie zu den UN-Antidiskriminierungskonventionen sollte die Grundlage unseres professionellen Handelns sein. Nach diesem Wertekanon beurteilen wir Schulgesetze, organisatorische Regelungen, Strukturen und Rahmenbedingungen (Personalschlüssel, Unterrichtsverpflichtung, materielle Bedingungen …). Auf diese Weise helfen wir als Gewerkschaft mit, die Profession weiterzuentwickeln.

Pädagogische und gewerkschaftliche Arbeit ethisch zu verorten, ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, denn:

  • Wir dürfen es nicht der Politik überlassen zu definieren, was als gute Bildung für alle gilt. Wir müssen unsere eigene Sicht, unsere eigenen Visionen entwerfen und politisch einbringen.
  • Gemeinsame Werte, gegenseitige Achtung und Kooperation verbessern nicht nur die pädagogische Qualität einer Schule, sondern tragen wesentlich zur Berufszufriedenheit bei.
  • Die eigene Tätigkeit ethisch zu begründen, hilft in Konflikt- und Entscheidungssituationen.
  • Nicht zuletzt: Ethische Maximen sind als professionelle Richtschnur eine Kraftquelle im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen – und machen ihn glaubwürdiger.

Auftrag einlösen

In diesem Sinn ist auch der Beschluss des Gewerkschaftstages 2013 als Auftrag an die Mitglieder zu verstehen: „Die GEW koordiniert einen Diskussionsprozess zur Vertiefung und Weiterentwicklung des professionellen Selbstverständnisses der Lehrerinnen und Lehrer, der Pädagoginnen und Pädagogen und anderer im Bildungsbereich Beschäftigter. Ziel ist, ein gemeinsames Verständnis für die Rechte und Pflichten, Aufgaben, Einstellungen und Haltungen in einem inklusiven diskriminierungsfreien Bildungssystem zu erarbeiten.“

Dieser Auftrag ist noch einzulösen. Er ist Ansporn, mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam Fortbildungsmodule zu entwickeln, die dazu beitragen, das Berufsethos der BI in den Bildungseinrichtungen zu verankern und sowohl Lehrkräfte in ihrer Profession als auch Schulentwicklungen zu unterstützen. Was wir brauchen, ist eine lebendige Diskussion über die ethischen Grundsätze sowohl pädagogischer als auch gewerkschaftlicher Arbeit.

Schule und Gesellschaft lassen sich nur mit mutigen Lehrkräften verändern, die wissen, wofür sie stehen. Sie sollten nicht nützliche „Rädchen im Getriebe“ sein, sondern mündige und kritische Bürgerinnen und Bürger heranbilden: Menschen, die in der Lage sind, Verantwortung für eine friedensfähige, demokratische und nachhaltige Gesellschaft zu übernehmen.

 

erschienen in:  Erziehung und Wissenschaft 7/8 2016 Artikel auf gew.de

International Summit on the Teaching Profession (ISTP) – 2.-4. März in Berlin

Der sechste ISTP  fand dieses Mal in Berlin statt. Delegationen aus verschiedenen OECD-Staaten waren der Einladung von Kultusministerkonferenz (KMK), OECD, Bildungsinternationale (EI), GEW und VBE gefolgt. Mehrere Tage wurde gemeinsam über die Weiterentwicklung des Lehrerberufs diskutiert.
Auffallend war, dass das Verhältnis zwischen Bildungsgewerkschaften und Regierung in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich war. In manchen Ländern – etwa in Finnland, Estland, Neuseeland oder der Schweiz – ist es sehr gut und kollegial. In anderen, beispielsweise in Polen, ist es eher angespannt.
Interessant und bereichernd an einem solchen Summit ist natürlich immer der Austausch mit KollegInnen aus anderen Ländern

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Ich habe mich dieses Mal intensiv mit der Delegation aus Singapur ausgetauscht: Bildungsminister, Janil Puthucheary (links), und der Gewerkschaftspräsident, Mike Thiruman (rechts). In diesem Land, das nicht gerade durch Liberalität und Demokratie glänzt, genießen Lehrkräfte weitreichende Freiheiten und das Vertrauen der Regierung. Nur 10 bis 12 Arbeitsstunden der Lehrkraft sind fest für den Klassenunterricht eingeplant. Der Rest kann für Kleingruppenarbeit, Einzelförderung, Eltern-/SchülerInnenberatung, Projekte oder AGs genutzt werden.

Auch unsere polnischen KollegInnen waren da: Dorota Obidniak (links) und Slavomir ISTPpolBroniarz (rechts). Slavomir hielt die aus meiner Sicht beeindruckendste Rede.

Während sich die meisten Wortbeiträge um die Verbesserung der Kompetenzen der Lehrkräfte und die passenden Maßnahmen dazu drehten, betonte Slavomir, dass es gerade in der heutigen Zeit, die von Krieg, Rassismus und der Verantwortungslosigkeit von Regierenden und Wirtschaft in einem globalisierten Neoliberalismus geprägt sei, einer ethischen Verortung des Lehrerberufs bedürfe. Es reiche nicht aus, Bildung als öffentliches Gut zu proklamieren. Denn über die Beschränkung von Zugängen zu bestimmten Bildungsgängen und die Verbreitung bestimmter Ideologien würden so oft unter der Hand einzelne gesellschaftliche Gruppen privilegiert. Wissen und Kompetenzen seien nicht dazu da, den „größten Teil der Torte“ zu ergattern. Stattdessen sollten sie die Einzelnen dazu befähigen, die bestehenden Verhältnisse zu hinterfragen, um eine bessere Welt zu schaffen. Nur in einer demokratischen Gesellschaft gebe es auch demokratische Schulen. Und nur demokratische Schulen stünden für eine humane Bildung. Wenn SchülerInnnen und Lehrkräfte gemeinsam „Flüchtlinge raus“ riefen, laufe etwas falsch im Staat und im Bildungssystem.
Es war die einzige Rede, die in dieser Diskussionsrunde einen längeren Applaus erhielt. Die polnischen Regierungsvertreter saßen ziemlich versteinert daneben.
Ich denke, dass uns Slavomirs Rede in Bezug auf die Entwicklung unserer Profession in Deutschland zu denken geben sollte. Auch wir haben ein Problem mit zunehmendem Rassismus an den Schulen. Wirkungsvoll können diesem nur Lehrkräfte entgegentreten, die ihre Tätigkeit an einem demokratischen und menschenrechtsbasierten Berufsethos ausrichten.

Der ISTP 2015 in Banff

Pressemitteilung von KMK, VBE und GEW

 

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